Fundstück: Carola Stern, In den Netzen der Erinnerung. Lebensgeschichte zweier Menschen (1986)

In den Netzen der Erinnerung verfängt sich Carola Stern nicht. Denn für sie führt der Weg zum Ich über die Erinnerung.

Die 1925 Geborene veröffentlicht 1986 ihre Kindheitsgeschichte und die ihres Ehemannes Heinz Zöger. Die Kindheiten im Deutschland der 1930er und 1940er Jahre könnten kaum unterschiedlicher sein. Der junge Kommunist geht in den Widerstand gegen das NS-Regime. Die Ahlbecker Tochter einer alteingesessenen preußischen Familie erhofft sich vom NS-Staat neues Heldentum und träumt von der Gleichheit in der „Volksgemeinschaft“. Ihr Aufstieg in der Hitlerjungend scheint ihr zunächst recht zu geben. Carola Stern beschreibt die Kindheiten mit analytischem Blick, aber immer aus der Perspektive und mit den Bildern der beiden Heranwachsenden.

Was verbindet diese beiden Menschen? Was führt sie Jahrzehnte später zueinander und lässt sie bei einander bleiben? Aus Sicht der Autorin ist es die erlebte Verblendung durch Ideologie. Die große Enttäuschung des kommunistischen Widerständlers ist, dass sich für ihn auch das SED-Regime als Gewaltherrschaft entpuppt. Nach einer Haftstraße flieht er aus der DDR und versucht, im kapitalistischen Westdeutschland Fuß zu fassen.

„Nichts ist unerklärlicher als eine verschwundene Begeisterung“, so heißt es auf dem Klappentext. Unerklärlich für die Außenwelt und unerklärlich auch für die Person. Die Gefühle der Begeisterung können ins Gedächtnis gerufen werden. Die Ursache für die Begeisterung ist kaum rekonstruierbar. Für Carola Stern ist das Aussprechen der Vergangenheit ein Akt der Befreiung. Für sie „führt ein Weg zum Ich über die Erinnerung“. Ihr Mann schlägt diesen Weg nicht ein.

Ein Fazit des Buches findet sich ebenfalls auf dem Klappentext. Es ist ein Zitat des französischen Schriftstellers und Abenteurers André Malraux: „Die Menschen sind durch die Art ihres Erinnerns ebenso voneinander geschieden wie durch ihre Charakteranlagen. Die Tiefen sind verschieden tief, die Netze sind nicht gleich, und auch die Fänge sind es nicht.“

Welche Art des Erinnerns war für Erwin Sylvanus typisch?

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