Wer sich heute mit Erwin Sylvanus beschäftigt, kommt an den Veröffentlichungen von Hans Jürgen Hoeck nicht vorbei. In seinen Untersuchungen zur Soester Kunst in den 30er und 40er Jahren zeigt der Autor, wie das künstlerische Milieu der westfälischen Kleinstadt vom Nationalsozialismus geprägt wurde. In dieser Gemengelage von Kunst und NS-Kulturpolitik versuchte Sylvanus, als Journalist Fuß zu fassen. Hans Jürgen Hoeck hat sich für ein Interview zur Verfügung gestellt.
Sie haben eine detaillierte Recherche über den Soester Kunstring vorgelegt. Was war Ihre Motivation für diese quellenorientierte Arbeit?
Von 2001 bis 2012 hatte ich in zahlreichen Archiven (Norderney, Schwelm, Wuppertal, Soest, Bochum, Dortmund und zuletzt wieder Soest), auch mit erheblichen finanziellen Auslagen verbunden, einige tausend Seiten an relevantem Material gesammelt, geordnet und computergerecht aufgearbeitet. Anfänglich schwerpunktmäßig zu dem Maler Vollrath Hoeck, aber im Zusammenhang damit aus Interesse auch zu anderen „Soester“ Künstlern, die ich zu einem großen Teil während meiner Kindheit und Schulzeit in Soest persönlich erlebt hatte.
Es ergab sich selbstverständlich die Frage, dieses Material und das damit verbundene Wissen in den Aktenschränken verschwinden zu lassen oder es bestmöglich zu nutzen. Da es aus meiner Sicht wenig wahrscheinlich schien, dass sich jemand nach dem Tod des ehemaligen Soester Stadtarchivars Dr. Köhn detailliert und wissenschaftlich fundiert mit dem Kunstring auseinander setzen würde, entschloss ich mich, das Thema selber zu bearbeiten. Das war auch eine nicht geringe Geduldsprobe für meine Frau.
„War der Soester Kunstring ein Unterstützungsinstrument für Künstler oder diente er vorrangig der Durchsetzung nationalsozialistischer Kunstpolitik?“
Die Zielsetzungen „Unterstützungsinstrument“ und „Durchsetzung nationalsozialistischer Politik“ sind untrennbar miteinander verbunden.
Den politischen Anstoß für die Gründung des Kunstrings gab die NS-Kulturgemeinde, Ortsverband Soest, die auch später die Kontrolle ausübte. Zur Gründungsversammlung eingeladen wurden sieben „Soester“ Künstler. Die folgenden Aufgaben wurden herausgestellt: 1. Heranführung breitester Kreise, insbesondere der Jugend, an die bildende Kunst. 2. Schaffung einer wirksamen Hilfe für ortsansässige Künstler.
Diese Entwicklung folgte den reichsweiten Vorgaben durch die NSDAP und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Auch wenn es zwischen diesen Institutionen wiederholt heftiges Kompetenzgerangel gab, unbestrittenes Ziel war es, die Kultur und damit auch die bildenden Künste als ein staatliches Instrument den Zielen des nationalsozialistischen Staates dienend unterzuordnen.
Welche Rolle spielte Erwin Sylvanus in den Soester Kunstkreisen?
Die Rolle von Erwin Sylvanus und sein Verhältnis zur bildenden Kunst in Soest ist sehr widersprüchlich und zeugt von einem deutlichen Bruch in seinen erkennbaren Einstellungen. Möglicherweise lässt sich das mit einem Bestreben erklären, sich den jeweiligen politischen Verhältnissen zum eigenen Nutzen anzupassen.
- S. betätigte sich als junger Journalist, wie es Dr. Goebbels forderte, als Kunstberichterstatter, also dezidiert nicht als Kunstkritiker. So berichtete er auch über die NS zensierten Kunstausstellungen in Soest und förderte und festigte mit der Herausstellung der gezeigten Kunst und Künstler das Kunstverständnis der Zeitungsleser im nationalsozialistischen Sinn. Zu Kriegszeiten wurde er von Kunstringmitgliedern zu formlosen Zusammenkünften und Atelierbesichtigungen eingeladen.
Bereits 1945, und bald nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, las er aus eigenen Werken vor einem größeren Kreis früherer Mitglieder des NS Kunstrings, Kunstfreunden, Kulturträgern und Politikern. Im Dezember wurde er zu der zehnjährigen „Jubiläumsausstellung“ des Kunstrings eingeladen und teilt diese Rolle mit allen, die Rang und Namen hatten, einschließlich der Repräsentanten der Militärregierung. 1946 wurde er Mitglied des Kunstrings, der nun auch Architekten und Schriftsteller aufnahm. E. S. wurde in den Vorstand gewählt. Wegen seiner journalistischen Arbeit im NS Staat untersagten die zuständigen Behörden diese Tätigkeit. E. S. las im Rahmen des Kunstrings aber weiterhin aus eigenen Werken. 1950 sollte ihm der „Ehrenpinsel“ des Kunstrings überreicht werden. Im gleichen Jahr wollte E. S. zu einem Interview mit Emil Nolde nach Seebüll reisen, der aus Zeitgründen aber ablehnte. 1953 trat Erwin Sylvanus anlässlich einer Soester Kunstausstellung als Fürsprecher von während der NS Zeit als „entartet“ bezeichneter Kunst auf. Dieser Bruch mit seinen früher vertretenen Positionen konnte bisher für mich nicht überzeugend erklärt werden. Mitte 1956 wird er nicht mehr als Mitglied des Soester Kunstrings geführt. Ende des Jahres übte er heftige Kritik an einer Kunstringausstellung. Diese löste auf Seiten des Kunstrings wiederum heftige Kritik an Erwin Sylvanus aus. Damit war das bis dahin enge Verhältnis zum Soester Kunstring beendet.