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Erwin Sylvanus

Schlagwort: Ghetto

Fundstück aus dem Archiv: Die Bäume im Warschauer Ghetto

Ulrike Witt

 

Im Oktober 1978 reiste Erwin Sylvanus zu einer internationalen Korczak-Tagung nach Warschau. Das Symposion fand zu Ehren des 100. Geburtstags des polnischen Pädagogen statt. Das Jiddische Theater in Warschau spielte „Korczak und die Kinder“ in Jiddisch. Für Erwin Sylvanus war das ein sehr wichtiges Ereignis.
Sylvanus machte mit einem polnischen Freund einen Spaziergang durch die Straßen des ehemaligen Warschauer Ghettos. Diese Situation reflektiert sein unveröffentlichter Text, den wir hier in Auszügen dokumentieren.

Erwin Sylvanus, aus: Anlage zu einem Brief an den Papst

Ähnlich weitwüchsige Bäume, denen ein passables Alter anzusehen ist, gab es in den Straßen des ehemaligen Gettos nicht. Plötzlich war dieser Gedanke da, als ich mit Leonard, dem jungen Tierarzt, die etwas abschüssige Straße hinter dem großen gelben Gebäude hinabging: unter einem breiten Blätterdach, durch das die mittägliche Oktobersonne nur wenige Strahlen zu schicken vermochte.
„Sind das Erlen?“, fragte ich. Leonard wusste es nicht besser als ich. Aber das wusste ich: “Sie sind mindestens 50 Jahre alt.“ Wir blieben einige Sekunden stehen, gingen dann weiter.
„Ich habe gelernt, Bäumen ihr Alter anzusehen. Nicht nur ihr Alter. In dem kleinen Dorf in der Bundesrepublik, in dem ich wohne, war bis zu seinem Tode vor drei Jahren ein Förster mein Nachbar. Ich ging gern mit ihm spazieren. Und lernte, von einem Baum mit ziemlicher Genauigkeit zu sagen, wann er gesetzt ist.“
„Das ist leicht“, sagte der Nachbar, „man lernt es schnell. Aber das, was mein japanischer Kollege konnte, der vor Jahren mein Gast war, ist nicht zu lernen. Im leisesten Rauschen der Blätter zu erkennen, was für ein Baum das ist – ohne den Baum zu sehen.
Er ließ sich die Augen verbinden. Ich führte ihn zu Baumfamilien, die er nie zuvor gesehen hatte. Zu Einzelbäumen. Er lächelte ein wenig und nannte die lateinischen Namen. Nie irrte er sich. Nur einmal – fast. Es war ein hohler Baum. „Das ist ein sterbender Baum“, sagte er, „da ist es schwer.“ Er nannte einen falschen Namen, korrigierte ihn jedoch sofort. Ich nahm ihm die Binde von den Augen. In den Baum ist kurz darauf der Blitz geschlagen. Das war seltsam.“

Ich hob ein Blatt auf. Ein zweites. Ein drittes. Legte sie sorgfältig in meinen Taschenkalender. „Es werden nicht viele Bäume überlebt haben in Warschau.“

„Ich weiß nicht einen einzigen, der so alt ist wie diese zehn oder zwölf Erlen,“ sagte Leonard. „Solange ich Kind war – ich erinnere mich nicht, große, ausgewachsene Bäume gesehen zu haben. An keinen einzigen alten Baum kann ich mich erinnern. Zu einem Baum gehörte, er war jung und angepflockt. Die Bäume in Warschau waren jung wie wir.“
Auch Leonard hob einige Blätter auf und steckte sie in sein Notizbuch.

„Vielleicht hat Janusz Korczak diese Bäume schon gesehen?“ fragte ich. „Das ist gut möglich. Sogar wahrscheinlich. Die Krochmalnastraße zum Beispiel – nicht weiter als zehn Minuten von hier. Höchstens. Ein Beweis ist es freilich nicht.“

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Autor Ulrike WittVeröffentlicht am 7. April 20189. April 2018Katgeorien Korczak und die KinderSchlagwörter Ghetto, Janus Korczak, WarschauSchreibe einen Kommentar zu Fundstück aus dem Archiv: Die Bäume im Warschauer Ghetto

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