Rainer Marie Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Rilke

Als Mahl beganns. Und ist ein Fest geworden, kaum weiß man wie. Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirrten, wirre Lieder klirrten aus Glas und Glanz, und endlich aus den reifgewordenen Takten: entsprang der Tanz. Und alle riß er hin. Das war ein Wellenschlagen in den Sälen, ein Sich-Begegnen und ein Sich-Erwählen, ein Abschiednehmen und ein Wiederfinden, ein Glanzgenießen und ein Lichterblinden und ein Sich-Wiegen in den Sommerwinden, die in den Kleidern warmer Frauen sind.

Aus dunklem Wein und tausend Rosen rinnt die Stunde
rauschend in den Traum der Nacht.

Interview mit Friedrich Kröhnke

In der Novelle „Die Weise von Liebe und Tod“ portraitierte der Schriftsteller Friedrich Kröhnke den alternden, erblindenden Sylvanus. Wir haben uns hier schon mit der Erzählung beschäftigt.

Der Berliner Autor hat nun drei Fragen für uns beantwortet.

Herr Kröhnke, in Ihrer Erzählung „Die Weise von Liebe und Tod“ zeichnen Sie das Bild eines alten, erblindenden Schriftstellers, der einsam nur noch immergleiche Monologe halten kann. Er wohnt in einem klammen, feuchten Hause. Er hat Geld, aber er weiß nicht, damit gut zu leben. Er braucht Hilfe, aber er kann sie nicht annehmen. Es ist Erwin Sylvanus. Wie viel Wirklichkeit steckt in Ihrer Erzählung?

Friedrich Kröhnke: Ich habe ihn erlebt, ich habe das erlebt. Wenn meine Erzählung auch gestaltet ist, kunstvoll, wie Literatur sein soll – und ich mag den Text von 1988 heute noch sehr, und andere schätzen ihn, und sogar ein Stipendium des Landes NRW habe ich als junger Autor damals für ihn bekommen – so trifft doch zugleich zu, dass jedes Detail und jede einzelne Äußerung und Schrulle des „Fabrizius“ in meiner Geschichte ganz genau so von Sylvanus, als ich bei ihm war, getan und gesagt worden ist. Übrigens konnte ich ihm auch Respekt nicht versagen! Alt, wie er war, war er auch Bürgerschreck, ein Radikaler.

Frage: Sie sind dem alten Sylvanus also wirklich begegnet. Warum konnten Sie nicht bei ihm bleiben?

Friedrich Kröhnke: Erwin Sylvanus suchte eine Art Sekretär und Reisebegleiter – die Kunde gelangte über die Dichterin Dagmar Nick zu mir. Anscheinend sollte der Sekretär und Reisebegleiter zugleich ein (wenn auch vielleicht eher „platonisch“) ein strahlender junger Geliebter sein: dafür war ich damals eine Fehlbesetzung.

Man muss auch sehen, dass wir einander, auch wenn jene Tage und Nächte bei ihm so starke Eindrücke boten, nur ein einziges Mal begegnet sind. Er rief zwar noch zweimal an, erreichte aber nur meine Freundin Sylvia. Von seinem Tod wenig später erfuhr ich aus dem Radio. Beerbt hat ihn der Schriftsteller Friedel Thiekötter.

Frage: „Die Weise von Liebe und Tod“ – warum haben Sie der Erzählung einen Titel gegeben, der an die berühmte Novelle von Rainer Maria Rilke erinnert?
Friedrich Kröhnke: Sylvanus oder ich benutzten den Ausdruck (gewiss: Rilke zitierend) im Gespräch über seine Idee, noch ein Stück zu schreiben, ein Stück über AIDS. Im Rückblick fand ich in diesen Wörtern „Weise von Liebe und Tod“ viel vom Wesen unserer vergeblichen Begegnung.

„Eine neue Weise von Liebe und Tod“ hatten wir damals gesagt. Und für die Neuausgabe der Novelle habe ich Bernhard Albers vom Rimbaud Verlag den leicht veränderten Titel vorgeschlagen: „Neue Weise von Liebe und Tod“. Er wollte aber nichts davon wissen, da mein Text ja in seiner früheren Ausgabe (in dem Erzählungenband „Knabenkönig mit halber Stelle“) schon seit 1988 in der Welt war.

Friedrich Kröhnkes Blick

Wer war Erwin Sylvanus? Eine weitere Antwort auf die Frage gibt der Schriftsteller Friedrich Kröhnke. In der Novelle „Die Weise von Liebe und Tod“* portraitiert er den alternden, erblindenden Sylvanus als Erich Fabrizius. Der sucht einen jungen Sekretär und Reisebegleiter. Der junge Schriftsteller Conny Kleymann alias Friedrich Kröhnke möchte den Job. Er „hat vom brotlosen Leben genug, von den unregelmäßigen Honoraren, vom Zähneputzen über der Spüle.“ Können da zwei zueinanderkommen, um einander Hilfe zu sein?
Um es kurz zu machen: Die beiden kommen nicht zueinander. Nach zwei Nächten im verwahrlosten Haus des alten Sylvanus, nach zwei gemeinsam verbrachten Tagen fährt Conny Kleymann wieder, und er weiß, dass Sylvanus ihn nicht anrufen wird, dass sein Traum eines finanziell unbeschwerten Lebens an der Seite des alten Mannes nicht Wirklichkeit werden wird. Dabei haben sie einige Gemeinsamkeiten: die Schriftstellerei, das Schwärmen für August von Platen und Rimbaud, ihre Homosexualität – von dem Jungen ausgelebt, von dem Alten nur „rezitiert“, weil das Bündische es anders nicht erlaubte – der Alkohol, die Drogen, die Ablehnung des Bürgerlichen.
Warum gelingt das Zusammenkommen nicht? Es sind Verachtung und Ekel. Kleymann verachtet Fabrizius. Er verachtet den alten Mann für sein Alter, seine Vergesslichkeit, seine immergleichen Monologe über Aids und Augenkrankheit, für den Dreck in seinem Haus. Auch für seine Karriere als Schriftsteller: „Korczak und die Kinder“ – ein pathetisches Stück, schnell hingeschrieben, schlecht recherchiert. Er findet nichts, was er an Fabrizius schätzt. „Was Kleymann nicht merkte: dass der Ekel wechselseitig war.“