Erwin Sylvanus: „Anlage zu einem Brief an den Papst“

 
Die kurze Erzählung, von der wir hier bereits einen Ausschnitt veröffentlicht haben, findet sich im Nachlass von Erwin Sylvanus in der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund. Der Titel ist kryptisch: „Anlage zu einem Brief an den Papst“. Was hat Janusz Korczak mit dem Papst zu tun?
 
Die Verbindung zwischen beiden Personen scheint zunächst nur rein zufällig zu sein. An dem Tag, als Erwin Sylvanus 1978 durch die Straßen des ehemaligen Warschauer Ghettos ging, wurde der Pole Karol Józef Wojtyła zum Papst gewählt. Im Verlauf der Erzählung kommt aber eine weitere Verbindung hinzu: Es geht um das Schicksal eines katholischen 15-Jährigen, der sich nach dem Kinderbuch von Janusz Korczak Macius nennt. „Ein Papst der Liebe, ein Papst aus Polen,“ riefen sich die Menschen auf den Straßen zu, als Johannes Paul II. gewählt worden war. Macius aus dem westfälischen Dorf sollte von dieser Liebe nichts spüren.
 
Der Autor berichtet von seiner Begegnung mit Macius. „Eine sanfte, porzellanene Röte hatte dem zarten Gesicht eine Anmut gegeben, die mich zweifeln ließ, ob der Name Macius für ihn gut gewählt war. Auch ich liebte den Kinderkönig Macius. Dieser Junge hier würde nur leiden können und nie regieren. Nicht einmal in seinen Träumen. Da er sich aber zu diesem Namen bekannte, wollte ich ihn nicht bezweifeln und verließ mit Macius die Apotheke. Draußen fragte er mich mehr nach dem neuen Papst als nach Janusz Korczak. „Ich habe ihn doch gar nicht gesehen. Er war in Rom.“
 
Macius ist katholisch und er ist Ministrant. Er assistiert dem katholischen Priester bei der Messe. Der Autor trifft den Jungen wieder auf der Allerheiligenkirmes in der nahen Kreisstadt Soest. Macius ist mit einem Freund unterwegs. „Der Begleiter war kerniger von Gestalt. Sein Gesicht dunkler. Sein Haar freilich – er trug es lockig wie Macius – unterschied sich nur in seiner verhaltenen Brauntönung vom Gold seines wohl gleichaltrigen Begleiters.“
 
Ein Jahr später erzählt ihm die Nachbarin von einem jugendlichen Selbstmörder, ein frommer und freundlicher Junge. Und niemand wisse, warum er sich umgebracht habe. Man habe ein Buch bei ihm gefunden, in dem Zeitungsartikel über den neuen Papst gesammelt habe. Seine letzte Rede, die er 1979 in Amerika hielt, sei noch eingeklebt worden vor dem Selbstmord.
 
Der Autor weiß, warum sich Macius tötete: Er habe es in bitterer, auswegloser Verzweiflung getan.
Der Autor kennt den Inhalt der amerikanischen Rede von Johannes Paul II.
 
„Diese Rede, die unzählige enttäuschte, jene, die auf einen Papst der Liebe, der Güte und des Verstehens gehofft hatten, einen aus Polen stammenden, einen marianischen Papst. Christus hätte nicht – nachträglich noch – jene mit Worten gegeißelt, die in die Konzentrationslager getrieben wurden als die Verachtesten und Verworfensten. Zu den Herrenmenschen hätten sie gehören können, den Bevorzugten, von der Vorsehung herausgehobenen an Adel und Wert – aber sie beschmutzten und besudelten ihre Ehre und die ihres Volkes vor den eiskalten Augen ihrer menschenschändenden Verfolger, diese Männer mit dem Rosa Winkel.
Nun war aus Amerika zu hören gewesen, diese Liebenden bleiben auch den Christen ein Gräuel, sie verletzten die Ehre des Gottessohnes und seiner holdseligen Mutter.“

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